Morgenvisite.
Der Doktor sitzt, wie ein Staatsanwalt ernst blickend und forschend, an einem riesigen Schreibtische.
Der Delinquent (Patient) tritt ein.
„Bitte, nehmen Sie Platz — — —.“
Pause, in der der Staatsanwalt (Arzt) den Verbrecher mustert, ob Paralyse oder Simulation vorhanden sei — — —.
„Also, mein lieber Peter Altenberg, ich kenne Sie nämlich schon seit langem aus Ihren interessanten Büchern, und erlaube mir daher den konventionellen Titel „Herr“ bei einem berühmten Manne wie Sie wegzulassen. Ihre Verehrerinnen apropos sollen Sie ja direkt mit ‚P. A.‘ titulieren!? Diese Ehrenabkürzung wage ich bisher noch nicht — — —.
Aber zur Sache! Also, mein lieber Peter Altenberg, was werden wir denn zum Frühstück nehmen?!?“
„Wir?! Das weiß ich nicht. Aber ich selbst nehme Kaffee, hellen Milchkaffee — — —.“
„Kaffee?! So?! Also Kaffee, hellen Milchkaffee — — —?!? Also schön, Kaffee — — —!“
„Ja, bitte, es ist mein gewöhnliches Getränk, an das ich seit dreißig Jahren gewöhnt bin — — —.“
„Ganz gut. Aber Sie sind eigentlich hier, um sich von Ihrer bisherigen Lebensweise, die Ihnen anscheinend bisher nicht besonders genützt hat, zu entwöhnen, vielmehr die nötige Energie zu akquirieren, solche Veränderungen Ihrer gewohnten, ja vielleicht allzu gewohnten Lebensweise allmählich wenigstens vorzunehmen!?! Nun, bleiben wir also vorläufig beim Milchkaffee. Aber weshalb diese dezidierte Aversion gegen Tee?! Man kann auch Tee mit Milch verdünnt trinken — — —?!“
„Ja, aber ich pflege Milchkaffee zu trinken — —.“
„Haben Sie, Herr Altenberg, einen bestimmten Grund, den Genuß von Tee des Morgens für Ihre Nerven für unzukömmlich zu halten?!?“
„Ja; weil er mir nicht schmeckt — — —.“
„Aha, das wollte ich eben nur wissen. Also, mein lieber Herr, was nehmen Sie denn zu Ihrem so geliebten und anscheinend unentbehrlichen Milchkaffee dazu?!?“
„Dazu?! Nichts!“
„Nun, irgend etwas Konsistentes müssen Sie doch dazu nehmen! Ein leerer Kaffee schmeckt einem ja gar nicht — — —.“
„Nein, ich nehme nichts dazu; mir schmeckt nur ein leerer Milchkaffee — — —.“
„Nun, mein sehr geehrter Herr, bei uns geht das eben nicht. Sie werden mir freundlichst die Konzession machen müssen von zwei Buttersemmeln — — —.“
„Ich hasse Butter, ich hasse Semmeln, aber noch mehr hasse ich Buttersemmeln!“
„Nun, diesen Haß werden wir schon noch besiegen! Ich habe schon schwierigere Kunststücke fertiggebracht, mein Lieber — — —. So, und jetzt begeben Sie sich stillvergnügt zu Ihrem Frühstück in der Veranda. Noch eins: Pflegen Sie nach dem Frühstück auszuruhen?!?“
„Je nachdem — — —.“
„Je nachdem gibt es nicht. Entweder Sie ruhen oder Sie machen Bewegung — — —.“
„Also dann werde ich ruhen — — —.“
„Nein, dann werden Sie eine halbe Stunde lang gehen — — —!“
Der Delinquent verläßt wankend das Amtszimmer und begibt sich zum Strafantritte auf die Veranda zum Frühstücke, verschärft durch zwei Buttersemmeln.
Einige Tage später. Der Staatsanwalt: „Nun, sehen Sie, mein lieber berühmter Dichter, Ihr Gesichtsausdruck ist schon ein viel freierer, ich möchte sagen, ein menschlicherer, nicht so präokkupiert von fixen Ideen — — —. Haben Ihnen die zwei Buttersemmeln geschadet?! Na also!“
Nein, sie hatten ihm nicht geschadet, denn er hatte sie täglich im Hühnerhofe verteilt — — —.
Nachmittagsvisite.
„Herr Peter Altenberg möchten sogleich zum Herrn Direktor komme — — —.“
„Setzen Sie sich, bitte.
Ich habe Ihnen den Alkoholgenuß strengstens untersagt — — —.“
„Jawohl, Herr Direktor — — —.“
„Kennen Sie diese ganze Batterie von leeren Sliwowitz-Flaschen?!?“
„Jawohl, es sind die meinen — — —.“
„Man hat sie heute unter Ihrem Bette aufgefunden — — —.“
„Ja, wo sollte man sie denn sonst auffinden?! Ich habe sie ja dort deponiert — — —.“
„Wie haben Sie sich das Gift in meiner Anstalt verschafft?!“
„Ich bestach jemanden. Sein ehrliches Gewissen ließ es bei zwei Kronen nicht zu. Da offerierte ich ihm drei Kronen.“
„Sie sind also unschuldig an der ganzen Sache, sondern der ungetreue Diener ist der Schuldige! Ich werde ihn zur Rechenschaft ziehen, obzwar er bereits fünfundzwanzig Jahre im Hause ist und er sich, soweit ich es übersehen konnte, stets einer tadellosen Konduite erfreut hat — — —.“
„Herr Direktor, Sie haben mir doch noch gestern gesagt, daß ich in Ihrer Anstalt und durch das regelmäßige solide Leben hier mich um zwanzig Jahre direkt verjüngt hätte und fast gar nicht mehr wiederzuerkennen sei?!?“
„Das sagte ich aus pädagogischen Gründen, um Ihr Selbstbewußtsein zu stärken — — —.“
„Herr Direktor, darf ich mir die leeren Sliwowitz-Flaschen bei Ihnen später abholen lassen ?!? Ich bekomme nämlich für jede sechs Heller retour — —.“
Direktor zu dem unredlichen Angestellten: „Sie Anton, wie konnten Sie sich unterstehen, nach fünfundzwanzig tadellosen Dienstjahren, einem Patienten, und sei es auch ein berühmter Dichter mit Eigenheiten, solche Mengen Branntwein gegen Bestechung zu verschaffen?!?“
„Aber Herr Direktor, wenn ich das nicht schon seit Jahren bei hundert Alkoholikern getan hätte, wäre uns ja ein jeder schon am dritten Tag davongegangen, und wir hätten unsere Anstalt leer stehen gehabt!“
„Nun gut, Anton, aber sorgen Sie wenigstens dafür von nun an, daß die leeren Flaschen nicht gefunden werden — — —.“
„Herr Direktor, das hat mir der Diener Franz angetan, aus Rache, weil ich mir soviel nebenbei verdiene — — —.“
Direktor zum Diener Franz: „Sie, Franz, kümmern Sie sich um Ihre eigenen Angelegenheiten! Sie verdienen genug, indem Sie unsere Alkoholiker mit unseren Hysterikerinnen ein wenig ‚anbandeln‘ lassen — — —. Ein jeder hat sein Ressort. In einer Anstalt muß Ordnung herrschen!“